Sehr geehrter Herr Vollstedt, mit Interesse habe ich Ihren Kommentar zu Helmut Lent gelesen. Da ich mich etwas mit Helmut Lent befasst habe – und Sie ja ansonsten recht gründlich recherchiert haben, möchte ich Ihren Artikel etwas kommentieren. Ich schreibe der Einfachheit in den Text hinein und stelle dir Schrift meiner Kommentare kursiv. Mich würde Ihre Einschätzung meiner Kommentare interessieren. mit freundlichen Grüßen Marc Andreßen —————————————— Ihr Text: ————————— Helmut Lent war ebenfalls ein herausragender Fliegeroffizier, der bei den Nachtjägern zum Schutz der eigenen Truppe und des Heimatgebiets eingesetzt wurde. Abgesehen davon war er Geschwaderkommodore – also mehr als „ein Pilot“, wie gerne dargestellt wird. Er war in Polen, Norwegen England und später an der „Invasionsfront“ in Frankreich stationiert. Einige Geschwader unter seiner Führung hatten sich auf das Abfangen von Kuriermaschinen aus und nach Schweden spezialisiert. Er stammte aus einem Pastorenhaushalt; seine beiden Brüder waren Pfarrer und gehörten zur evangelischen Bekennenden Kirche. Er wäre in jedem Fall zur Wehrmacht eingezogen worden und meldete sich freiwillig zur Luftwaffe. Es war Tradition in der Familie Lent, dass Söhne entweder Soldat oder Pastor werden würden. Nach seinen Erfolgen beim Jungvolk, wie er zum Fähnleinführer aufstieg – obwohl er älter wurde, bereiteten ihn seine Brüder auf das Abitur vor, damit er die Offizierslaufbahn einschlagen konnte. Er ging 17-Jährig zur Luftwaffe. (Biographie) Die Familie und auch Helmut Lent selbst lebten unter ständiger Beobachtung der Gestapo. Als einer der Brüder in seiner Predigt den sogenannten “Mölders-Brief” (regimekritischer, von unbekannter Seite gefälschter Text) verlesen hatte und inhaftiert worden war, setzte sich Lent unter Hinweis auf seine hohen Auszeichnungen und tadellose dienstliche Leistung schriftlich mit Nachdruck für ihn ein. Überliefert ist, dass sein Bruder zwei Sätze aus dem Möldersbief in eine Konfimationspredigt einbaute. Lent konnte auch durch Zeugenaussagen nachweisen, dass sein Bruder nicht davon wissen konnte, dass es ein Problem sein könne, diesen Brief vorzulesen. Wörtlich schrieb er „Ich bitte nicht Gnade, sondern Recht“. Allerdings musste Lent zum eigenen Schutz und zum Schutz der Familie stets seine Loyalität als Offizier bekräftigen, selbstverständlich auch den Willen zum Sieg beizutragen; das tat er in überlieferten Äußerungen. Er war nicht der Einzige, dem ein solcher Spagat aufgezwungen wurde. Vielen Soldaten und zivilen Amtsträgern ging es so, gerade auch Hochrangigen. Ich verstehe nicht, aus welchen Informationen Sie diese Einschätzung herleiten. Seine Äußerungen zu Beginn des Polen-Feldzuges „jetzt wird Geschichte mit Blut geschrieben“ in einer Phase, in der den Soldaten die „Schrecken des Krieges“, die Opfer unter der eigenen Bevölkerung und die Unwahrscheinlichkeit des Endsieges noch nicht klar gewesen sein dürfte, deuten nicht auf eine Distanz zum System hin. Auch seine fast durchgehende und erfolgreiche Mitgliedschaft im Jungvolk und danach in der Wehrmacht, deuten eher darauf hin, dass er sich überdurchschnittlich für das Regime eingesetzt hat. Die tatsächliche Haltung Lents ist nicht so ausführlich belegt, wie es wünschenswert wäre, aber: Er war mit einer Frau aus russischer Familie verheiratet, ein Indiz dafür dass er dem national-sozialistischen Rassenwahn nicht erlegen war. Seine Frau Lena Senokosnikov stellte sich ihm blondiert und als „Elisabeth Petersen“ vor und besaß zu diesem Zeitpunkt bereits einen „Ariernachweis“ – also den Nachweis „reiner arischer Abstammung“ sie war zu diesem Zeitpunkt bereits in NS-Organisationen Mitglied. In seinem Haushalt wiederum arbeitete eine Ukrainische Zwangsarbeiterin, deren Rolle aus ihrer rassischen Minderwertigkeit begründet war. Bitte erläutern Sie Ihre Einschätzung. In seinen testamentarischen Verfügungen zum Todesfall lehnte er jeden Hinweis auf Führer, Volk und Vaterland ab und verwendete allein christliche Bezüge; dies verlangte er auch von seinen Angehörigen. Es liegt ein Brief seiner Schwägerin vor, in der sie angibt, dass die Todesanzeige von der Familie verfasst worden sei – auf diese ist auch das in der Todesanzeige Bibelzitat Jeremia 31.3. zurückzuführen, das sie in dem Brief wörtlich zitiert. Der Hinweis auf die testamentarische Vorausverfügung wiederum entstammt, wie kürzlich ermittelt wurde aus dem Flugblatt „Nachrichten für die Truppe“ vom 02.01.1945. (auch aus einer Organisation heraus, an der Sefton Delmer mitwirkte, wie auch beim Möldersbrief) Die Anzeige enthält „im Einsatz für sein Vaterland“ – eine frühere „den Richtlinien entsprechende Anzeige“ enthielt ebenfalls den Hinweis auf „Führer Volk und Vaterland“ nicht. Weil es an einer geschichtswissenschaftlich gesicherten Biographie mangelt, kann man fragen, inwieweit Helmut Lent in die Tradition der Bundeswehr gehört: Als guter Soldat, der in der Heimatverteidigung sein Bestes gab? Wie oben geschrieben war er zum einen Geschwaderkommodore – zum anderen „nicht ausschließlich“ für die Heimatverteidigung verantwortlich. Als tragische Figur unter einem unmenschlichen Regime? Nachdem Lent mehr als fünfzig Jahre Namensgeber für die Kaserne in Rotenburg/Wümme war, ist es aber keinesfalls gerechtfertigt, ihn mit der durch nichts untermauerten Festellung, nicht mehr sinnstiftend zu sein, aus der Bundeswehr-Tradition zu entfernen. Ich denke, Sie kennen den Traditionserlass und seine Intensionen recht gut. Nicht nur die Einschränkung auf „um Freiheit und Recht“ verdient gemacht sonder auch die Trennung von Leistungen von dem Kontext, in dem sie erbracht wurden – die Beschränkung auf das „Handwerkliche“ lässt Lent nicht als traditionswürdig erscheinen. Tradition wird definiert als „Weitergabe von Werte und Normen“ – also gut zu unterscheiden von „Gewohnheit“ oder „romantisierender Erinnerung“ Es ist für die nicht gegebene Traditionswürde aus meiner Sicht unerheblich, ob Lent den historischen Ballast der NS-Diktatur und ihrer Verbrechen in voller Unterstützung oder in innerer Distanzierung mit sich schleppt. Wie beide können ihm diese last jedoch nicht von den Schultern nehmen. Gerade in dieser Last liegt aus meiner Sicht begründet, warum ein „Held“ vom Kaliber Lent nicht traditionsbegründend sein kann: Die Motivation ihn „reinzuwaschen“, ihn „unbefleckt“ dastehen zu lassen führt zu einer eingeschränkten Wahrnehmung – Sie selbst haben dafür mit der Reduktion auf den „Heimatverteidiger Lent” ein sehr gutes Beispiel gegeben. Leider gibt es diese „Heldenwaschanlage“ nicht und weder ist Helmut Lent damit geholfen, wenn man eindeutig nicht traditionswürdige Aussagen oder Handlungen ignoriert oder sie wegrelativiert – noch ist der Bundeswehr und insbesondere jungen Rekruten damit geholfen, wenn man ihn eben diesen Umgang mit den Heldenfiguren und der Deutschen Geschichte vorlebt. Wir leben in einer anderen Zeit und mit einer anderen Bundeswehr in anderen Verteidigungsbündnissen und anderen Einsatzszenarien, mit einem anderen moralischen Kodex und einer anderen Kultur. Es ist nicht Lent anzulasten, dass er einer anderen Generation angehörte. Aber daran ändern, dass es so ist, können weder Sie noch ich etwas. Dem, wer und was er war kann, kann man auf dem Garnisonsfriedhof in Stade gedenken. Eine aktive Bundeswehrkaserne ist für diese komplexe Aufgabe der Auseinandersetzung mit einer einzelnen Person unserer komplexen Geschichte der falsche Ort – und Helmut Lent als „sinnstiftender Wertelieferant“ leider kein geeigneter Kandidat. Man sollte ihn in Ehren aus dem Dienst als Namensgeber […]
Read More