Die Bundeswehr, das Verteidigungsministerium und die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit im Systemkonflikt
„Ein Unrechtsregime wie das Dritte Reich kann Tradition nicht begründen“, legte 1982 der bis heute gültige Traditionserlass fest, durch den der damalige Bundesverteidigungsminister Hans Apel (SPD) die Marschrichtung für den Umgang mit der militärischen Vergangenheit in der Bundeswehr vorgab. Was ihr Verhältnis zum Nationalsozialismus anging, hieß es weiter, waren die Streitkräfte „teils schuldhaft verstrickt, teils wurden sie schuldlos missbraucht“. Der Minister unterstrich mit dieser Formel die Trennlinie zwischen den militärischen und sicherheitspolitischen Institutionen der NS-Diktatur einerseits und der westdeutschen Demokratie andererseits, die sich nicht zuletzt in der normativen Konsequenz des Traditionsbruchs zeigte. Für unser wissenschaftsgeschichtliches Thema indes ist ein zweiter Aspekt interessanter: Als der Minister davon sprach, dass deutsche Streitkräfte an nationalsozialistischem Unrecht beteiligt waren, konnte er sich auf eine historische Forschung stützen, die nicht zuletzt im Geschäftsbereich seines eigenen Ministeriums in vollem Gange war.
Wenn in einem historischen Sinn von den „Vorläuferorganisationen“ die Rede ist, gilt das Interesse einem Zentralbereich des nationalsozialistischen Machtapparats und dem Funktionsmechanismus der Führer-Diktatur im Bereich des Militärischen. Wie gingen das Bundesministerium der Verteidigung und die Bundeswehr mit der NS-Vergangenheit deutscher Streitkräfte um? Sicher, im „Dritten Reich“ gab es kein effektives Kriegsministerium, so dass später auch keine institutionelle Verbindung zum Bundesministerium der Verteidigung (bis 1961: „für“ Verteidigung; BMVg) existieren konnte. Ohnehin hatte die Entmilitarisierungspolitik der Alliierten für einen zehnjährigen Kontinuitätsbruch gesorgt. Das Ministerium und die Streitkräfte sahen die nationalsozialistische Vergangenheit formal nicht als „ihre“ eigene an. Gleichwohl stand die „neue Wehrmacht“, wie es zunächst hieß, in einem unübersehbaren personellen und kulturellen Zusammenhang mit der jüngsten Vergangenheit – sonst wäre das im Traditionserlass nicht der Rede wert, ja wäre der Traditionserlass womöglich gar nicht erforderlich gewesen.
Die Erforschung der „eigenen“ Vergangenheit, ganz gleich ob eines Unternehmens oder einer staatlichen Einrichtung, hat immer auch eine traditionsbildende Funktion. Es wäre naiv zu glauben, dass die zweckfreie Neugier auf die Vergangenheit den Geldhahn des „Bedarfsträgers“ öffnete. Die Ressortforschung des BMVg diente nicht nur dem Interesse der Bundeswehr, den Diskurs über Militär in der Gesellschaft mitzugestalten und „nützliches“ Wissen zur Verfügung zu stellen. Sie sollte auch zu einer Traditionsstiftung beitragen, die den gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Debatten Rechnung trägt. Auch Traditionsstiftung war ein Instrument im Systemkonflikt, mit dem sich die Bundeswehr von der NVA abgrenzte – und umgekehrt. Ging es hier um den „Staatsbürger in Uniform“, stand dort die „sozialistische Soldatenpersönlichkeit“ im Zentrum des Bemühens, Identitätskonstruktionen historisch zu unterfüttern. Positive Traditionen für die Bundeswehr lieferte insofern seit den 1970er und 1980er Jahren vor allem die Aufarbeitung der jüngeren Geschichte der Bundeswehr und ihrer Einbindung in die NATO. Das MGFA nahm sich hier der „eigenen“ Vergangenheit an. Auf die Geschichtsschreibung der Wehrmacht hingegen (wie auch der NVA) traf diese Funktion der positiven Sinnstiftung wegen des Kontinuitätsbruchs nicht zu, jedenfalls nicht ohne Weiteres. Allerdings prägte auch die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit im Auftrag des Ministeriums das Traditionsverständnis in der Truppe und deren historisch-politisches Bildungsangebot.
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Der Autor Jörg Echternkamp ist Privatdozent für Neuere und Neueste Geschichte an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und Projektbereichsleiter am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw). Nach dem Studium der Geschichte, Romanistik und Pädagogik wurde er mit einer Arbeit über den Aufstieg des deutschen Nationalismus im 18. und 19. Jahrhundert promoviert. 2012 habilitierte sich Echternkamp mit einer Studie über “Soldaten im Nachkrieg. Historische Deutungskonflikte und westdeutsche Demokratisierung 1945-1955”. In zahlreichen Publikationen setzt er sich mit Themen der deutschen und europäischen Geschichte vom 18. zum 21. Jahrhundert auseinander. Seit 2000 ist er Redakteur der Militärgeschichtlichen Zeitschrift.