Familie Lent und die bekennende Kirche – Kommentar von Jakob Knab
Zur Sitzung des Stadtrates ROW vom 29. September 2016.
Die Ratsfrau Elisabeth Dembowski – wobei sie vom Lent-Gutachten (Stand: 28. Januar 2016) ausging – führte aus: „Helmut Lent war nicht Mitglied der NSDAP, seine Herkunftsfamilie gehörte der Bekennenden Kirche an und er hat sich im Verlauf des Krieges möglicherweise innerlich distanziert. Dennoch hat er sich mit Entschiedenheit von Anfang bis zu seinem Ende in den Dienst eines Unrechtssystems gestellt. Mit dem Hinweis auf den Traditionserlass, (Abs. III. 29 wörtlich) kann er somit im Sinne einer neuen wegweisenden Tradition nicht mehr als Namensgeber dienen.“
Folgende Aussage im Lent-Gutachten (2016) nimmt wohl Anleihen an den Mitteilungen von Herrn Friedrich Kuhle ROW: „Beide Brüder von Lent waren als Pfarrer in der regimekritischen ‚Bekennenden Kirche‘ engagiert und kamen deshalb in Konflikt mit der Gestapo.“ Zur Glaubhaftmachung werden vom ZMS nicht einmal Belege und Quellen angeführt. Richtig ist, dass Pastor Joachim Lent – nach dem Januar 1942 – den sog. Möldersbrief von der Kanzel verlesen hatte, 1 denunziert und von der Gestapo verhaftet wurde. Hier ein Auszug: 2„Wenn ich eines Tages mein Leben für die Freiheit unserer Nation hingeben muss, die Gewissheit kann ich Ihnen geben, ich falle im alten Glauben, gestärkt durch die Sakramente der Kirche. Wenn auf meinem letzten Gang ein Priester nicht mehr dabei sein kann, so verlasse ich diese Erde im Bewusstsein, in Gott einen gnädigen Richter zu finden. Noch aber habe ich die feste Hoffnung, dass sich alles zum Guten wenden wird.“ 3
Es werden vom ZMS keinerlei nachprüfbaren Belege dafür angeführt, in welcher Weise und in welchen Jahren die Pastorenbrüder Werner und Joachim Lent in der “regimekritischen” ‚Bekennenden Kirche‘ (BK) engagiert waren. Es fehlt auch jeglicher Hinweis darauf, dass die Synode von Bad Oeynhausen die letzte Zusammenkunft der BK war. 4 Gehörten die Pastorenbrüder Lent etwa zum „harten Kern“ der BK?
Nach meiner Einschätzung gehört die Kunde („Beide Brüder von Lent waren als Pfarrer in der regimekritischen ‚Bekennenden Kirche‘ engagiert“) in den Bereich der Kirchenkampflegenden. Auf meine diesbezügliche Anfrage erhielt ich vom Sprecher der Initiative PRO LENT die Auskunft: „Von der Tochter Helmut Lents, Frau Helma Lehnert, wissen wir, daß Lent nazikritisch eingestellt war. Frau Lehnert äußert auch den Verdacht, daß der Absturz des Lent-Flugzeuges auf einen Sabotageakt zurückzuführen sei. Ich denke an Mölders “Absturz”. Rommel mußte eine Giftkapsel schlucken. Auch damals wußte man schon, wie man sich mißliebiger Offiziere “entledigen” konnte.“ (Friedrich Kuhle an Jakob Knab am 8. Oktober 2016)
Jakob Knab, Kaufbeuren, Jan.2018,
Anmerkung M.A.:
Irgendwie fehlt mir in der Antwort von Friedrich Kuhle der Zusammenhang zur “Bekennenden Kirche” sondern die Antwort wartet mit einer weiteren Legende (“Sabotage?”) auf. Aus zwei Sätzen, die in eine Predigt eingebunden werden, wird ein ganzer Brief – dass die Freilassung des Bruders von Helmut Lent erfolgte, weil dieser nicht wissen konnte, dass der so genannte Mölders-Brief eine Fälschung des Britischen Geheimdienstes war, wurde unterschlagen. Auch der Mythos, dass Lent bei einem Sabotageakt ums Leben gekommen sei wird hier eingebracht. Dazu ist zu sagen, dass viele Indizien dagegen sprechen – da wäre zum einen seine durchweg systemkonforme Haltung ohne einen einzigen Nachweis oder Überlieferung eines offenen Widerstandes. Es ist überliefert, dass Lent die “Fern-Nachtjagd” für erfolgsversprechender hielt – da sich die Bomber vor dem “Feindflug” zunächst über England sammelten und ein leichteres Sie waren. Dies ließ sich jedoch nicht so gut für die Propaganda ausschlachten und wurde daraufhin eingestellt. Das ist jedoch ein Dissens bei einer strategischen Entscheidung und keine Ideologie- oder Systemkritik. Lents Töchter erhielten noch 1945 Geldmittel für Aussteuer und Ausbildung aus dem persönlichen Verfügungsfonds Adolf Hitlers5, Seine Witwe Lena Lent bekam ein Grundstück in “bevorzugter Lage” in Stade geschenkt6. Dieses konnte sie später verkaufen, da es zu keiner Bebauung gekommen war.
Sabotage?
Des weiteren sind die Umstände seine Absturzes durch Zeitzeugen und nachfolgende Untersuchungen gut belegt. Lent Flog bei dem Überführungsflug nach Paderborn einen anderen Flugzeugtyp als die BF110, die er bei seinen Einsätzen flog. Das Flugfeld des Luftparks Paderborn war durch einen vorherigen Luftangriff beschädigt worden, so dass Lent auf eine nahegelegene Wiese ausweichen musste. Seinerzeit war die Haltbarkeit der Flugzeugmotoren nicht so hoch – und so war es ein bekanntes und befürchtetes Problem, dass diese im Landeanflug beim Drosseln ausfallen konnten. Beim Flug in größerer Höhe war dies meist kein Problem, da die Maschine “getrimmt” werden konnte – das heißt durch Voreinstellung der Ruder so eingestellt werden konnte, dass sie auch mit nur einem Motor trotzdem geradeaus flog. Im Landeanflug war dies jedoch nicht möglich, da dafür die Flughöhe und die Zeit fehlte.
Offenbar entschied sich Lent, durchzustarten und versuchte mit dem verbliebenen Motor zu beschleunigen – dabei verriss die Maschine jedoch durch den einseitigen Vortrieb, geriet in eine Hochspannungsleitung und stürzte ab. Lent war von den am Absturz beteiligten am wenigsten verletzt, starb aber zwei Tage später im Krankenhaus Paderborn an Blutvergiftung (Gangrän), die durch Blutunterversorgung in seinen durch den Unfall schwer verletzten Gliedmaßen entstanden war. Auch im Rückblick sind keine Hinweise auf “Sabotage” zu erkennen, da die Situation (Landeanflug auf unbefestigtes Flugfeld) die Besatzung (Karl, Kloss, Kubisch, Lent) und die Umstände (erkennbarer Pilotenfehler, unvertrauter Maschinentyp) gegen eines solche These sprechen.
So werden hier wie bei der Geschichte um die Todesanzeige Lents und den Artikel aus Nachrichten für die Truppe, der rassischen Einordnung Lena Lents oder Helmut Lents Mitgliedschaft in der NSDAP Legenden geboren.
Fußnoten
- Helmut Lent sprach in seinem Brief an das Reichssicherungshauptamt von “zwei Sätzen” aus dem Möldersbrief, die sein Bruder in einer Konfirmationspredigt untergebracht hatte. Die Freilassung des Pastors erfolgte, da nachgewiesen werden konnte, dass dieser davon ausgehen musste, dass der Brief authentisch sei und keine Kenntnis davon haben konnte, dass es eine Fälschung war
- Auszug aus dem Möldersbrief
- Ein ähnlicher Mythos wurde bei dem Artikel aus “Nachrichten für die Truppe” bemüht: eine Heldenfigur des NS-Systems bekennt sich post mortem zum Glauben und distanziert sich damit von der nationalsozialistischen Idee und dem Führer.
- Nach anfänglichen Erfolgen wurde die Bekennende Kirche etwa ab 1937 zunehmend verfolgt, hielt aber an ihrer eigenen Organisation fest. Dennoch war sie entgegen der Selbstdarstellung vieler ihrer Mitglieder nach 1945 keine Opposition zum Nationalsozialismus als solchem. Durch den Alliierten Kontrollrat wurde die Bekennende Kirche jedoch als „aktive antifaschistische Widerstandsbewegung“ anerkannt. Martin Niemöller fasste das Geschehene 1976 so zusammen:
„Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist.
Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat.
Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Gewerkschafter.
Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“Seine und die Schuld der Kirche beschreibt er mit den Worten: „Wir haben uns noch nicht verpflichtet gefühlt, für Leute außerhalb der Kirche irgendetwas zu sagen… so weit waren wir noch nicht, dass wir uns für unser Volk verantwortlich wussten.“
- Staatsarchiv Stade, Erinnerungsbuch Lena Lent
- Staatsarchiv Stade, Erinnerungsbuch Lena Lent