Zeigt eine Todesanzeige von Helmut Lent seine Distanz zum Nationalsozialismus? Auf Initiative einer Gruppe Rotenburger wurden dem ZMSBw Unterlagen zur Verfügung gestellt, die diese These unterstützen sollen. Teil dieser Unterlagen war ein Zeitungsausschnitt dessen Quelle mit “DAZ” angegeben wurde. Dieser Ausschnitt war den “Lent Papers” entnommen. Recherchen im Jahr 2017 zeigten jedoch, dass dieser Artikel aus einem Propaganda Flugblatt der Alliierten aus der Serie “Nachrichten für die Truppe” stammte. Damit ist diese Episode äußerst fraglich. Zudem sprechen diverse Hinweise (abgesehen von der Quelle) gegen den Wahrheitsgehalt dieses Artikels.
Die Todesanzeige im Generalanzeiger
Dies ist die offizielle Todesanzeige , wie sie im Generalanzeiger veröffentlicht wurde. Diese wurde den Angaben der Schwägerin Helmut Lents nach, von dem Redakteur des General-Anzeigers gestaltet und entsprach den damaligen Standards. Da Helmut Lent bei einem Unfall ums Leben gekommen war, fehlt hier die Formulierung “gefallen für Führer Volk und Vaterland”.
Eine zweite Todesanzeige
Doch es gibt eine weitere Todesanzeige. Auf diese nimmt Dr. Vogel vom ZMSBw Bezug und schreibt in seinem Gutachten vom 28.01.2016: „Am 24.11.1944 erschien auf Veranlassung der Angehörigen in der Deutschen Allgemeinen Zeitung eine Todesanzeige Lents, die nicht die übliche Floskel ‘gefallen für Führer, Volk und Vaterland‘, sondern ein klares Bekenntnis zum Christentum und Vaterland enthielt. (Anm.: Die von Dr. Vogel erwähnte Floskel ‘gefallen für Führer, Volk und Vaterland’ traf auf Lent nicht zu, da er bei einem Flugunfall ums Leben kam.) Die Gestapo leitete eine Untersuchung gegen Ehefrau, Bruder und verantwortlichen Redakteur ein. Diese konnten jedoch – wie die Überlieferung der Familie weiß – glaubhaft machen, das Lent in Vorahnung seines Todes seine Todesanzeige selbst abgefasst und jede Bezugnahme auf den Nationalsozialismus untersagt hatte. Auf diese Weise erreichten sie eine Einstellung des Verfahrens.“
Dieses deckt sich mit einer Beschreibung, wie sie in den “Lent-Papers” von Peter Hinchcliffe (S. 282 f.f.) angeführt wird. Dort ist auch die fragliche Todesanzeige abgedruckt mit dem Text:
Im Festen Glauben an Jesus Christus hat der Brilliantenträger Oberstleutnant Helmut Lent sein junges Leben im Einsatz für sein Vaterland vollendet. Jer. 31.3
Lena Lent geb. Senokosikow
Johannes Lent, Pfarrer
Marie Lent, gb. Braune
Stade/Pyrehne
Gottes Glaube schenkte mir als letztes Vermächtnis meines lieben Mannes ein gesundes Töchterchen Helma Elisabeth
Diese Anzeige erschien erst knapp sieben Wochen nach dem Tode von Helmut Lent. Sie enthielt ebenfalls das Eiserne Kreuz der Wehrmacht mit einem Hakenkreuz. Wenn man die beiden oben gezeigten Anzeigen betrachtet, sieht man, dass dort ebenfalls die Formulierung “für Führer Volk und Vaterland” nicht erscheint.
Lena Lent hielt es in ihrem „Erinnerungsbuch“ nicht für erwähnenswert, die Traueranzeige vom 24.11.1944 aufzuführen. In den Todesanzeigen unmittelbar nach dem Flugunfall von Helmut Lent schreibt Lena Lent im Namen aller Angehörigen „ (Helmut Lent)…, starb am 7. Oktober 1944, vom Feinde unbesiegt, den Fliegertod.“ In dieser Todesanzeige, wie auch in der späteren Danksagung von Lena Lent im Namen aller Angehörigen, fehlt jeder Bezug zum christlichen Glauben von Helmut Lent. In der Danksagung findet sich das Eiserne Kreuz der Wehrmacht mit Hakenkreuz in der Mitte. (siehe die oberen Abbildungen)
Ein Artikel in der DAZ?
Peter Hinchliffe schreibt in seiner Schilderung der Familie Lent, dass es eine Tradition gab, dass Männer der Familie entweder eine Karriere als Soldat oder Pastor eingeschlagen haben. Die Familie Lent war daher tatsächlich recht gläubig. Am 31.10 wurde bereits eine private Trauerfeier in der Geburtsstadt Lents Pyrehne abgehalten, zu der Helmuts älterer Bruder eine Trauerrede hielt. Man kann sich fragen, wie es zu dieser sehr verspäteten Anzeige am 24.11. gekommen ist, welche Motivation und welche Zielgruppe diese hatte. Beerdigung und Trauerfeier waren landesweit in den Wochenschauen gelaufen. Möglicherweise ist dies auch nur eine kombinierte Todes/Geburtsanzeige gewesen, da in der Zeit kurz nach dem Tod von Helmut Lent auch seine zweite Tochter geboren wurde.
Im Buch “The lent papers” wird ein Brief zitiert, den Hertha Lent, die Frau von Helmuts älterem Bruder an ihre Familie schrieb. Darin beschreibt sie auf nähere Umstände. Ich übersetze von den Seiten 278/279 aus “The Lent Papers”:
“In seiner Trauerrede erwähnte Joachim die schockierende Erfahrung, die wir mit der lokalen Zeitung, dem General-Anzeiger hatten.
Wir wollten eine Traueranzeige schalten mit dem Text ” Im Glauben an Jesus Christus, hat mein geliebter Ehegatte mein immer-fröhlicher Lebensgefährte, der gute Vater von Christina, unser lieber Sohn und Bruder sein junges Leben vollendet im Dienste seines geliebten Vaterlandes. Uns tröstet Jeremia 3,13 “Denn ich habe dich mit zimmerwährender Liebe geliebt: daher aus liebender Güte habe ich dich zu mir genommen” gefolgt von unseren Unterschriften. Aber die Zeitung wollte das nicht drucken Sie wollte eine andere Anzeige drucken im militärischen Stil, wie er heute so üblich ist. Der Geschäftsführer sagte zu meiner Schwägerin “Sollen die meinen Verlag schließen wegen ihrer Anzeige?” Meine Schwägerin sagte darauf dann solle gar keine Anzeige geduckt werden, nicht einmal die, die die Zeitung wollte. Das Ergebnis war, das zu unser aller Ärger die Version der Zeitung. Die Passage ist nicht Teil der Anzeige – ansonsten ist sie wortgetreu”
Lents letzter Wille rettet Familie vor dem KZ?
Was auffällt ist, dass das Zitat die Hinterbliebenen tröstet und weder Hertha, noch Lena oder Joachim Lent zu diesem Zeitpunkt und in diesem Kontext nicht erwähnen, dass sie damit einen “letzen Wunsch” Helmut Lents erfüllen – auch der Bruder erwähnt diesen “letzten Wunsch” nicht in seiner Trauerrede. In den Lent Papiers wird davon gesprochen, wie wichtig es der Familie es war, dass Helmut Lent als Christ in Erinnerung blieben sollte – und doch bezogen sie sich erst im Angesicht der KZ-Haft auf ein Schreiben, das ein Bekenntnis zum Glauben dokumentierte. Wie die genauen Umstände waren, lässt sich nicht mehr feststellen.
Sollte es noch Unterlagen aus dieser Zeit im Familienbesitz geben, wie zum Beispiel diesen besagten Brief, könnte man das Verifizieren, aber außer dem oben genannten Zeitungsartikel gibt es keinen Hinweis darauf. Diese Episode hat das Verhältnis zwischen Hitler und Familie Lent nicht nachhaltig belastet. Sowohl schenkte die Stadt Stade Lena Lent ein Grundstück, und Adolf Hitler versorgte die Töchter Helmut Lents großzügig mit Geldmitteln aus seinem persönlichen Verfügungsfond. Lena Lent bat auch nach dem Tod von Helmut Lent um ein persönliches Treffen mit Adolf Hitler, um eine Auszeichnung (die “Brillanten) aus seinen Händen entgegenzunehmen.
Hinweise, dass es sich bei dem Artikel um alliierte Propaganda handelt
- es liegt nur dieser Artikel aus den “Nachrichten für die Truppe” vor
- Lena Lent wurde ein Grundstück in Stade geschenkt
- Lena Lent erhielt einen höheren Geldbetrag aus dem persönlichen Verfügungsfonds Adolf Hitlers
- Lena Lent erbat ein persönliches Treffen mit Adolf Hitler
- Der Führerglaube wird auch in der ersten Anzeige nicht erwähnt
- Der Gestaltungsspielraum für eine Voruasverfügung Lents beschränkt sich auf “Im festen Glauben an Jesus Christus“
- Die Schilderung von Helmut Lents Schwägerin gibt eine andere Quelle für die Textvorlage an
- Fehler im Text – Hellmut Lent wird mehrfach mit “th” also “Helmuth” geschrieben
- Fehler im Text – Hellmut Lent hat den Angaben nach nur ein Kind (er hatte zwei)
- Fehler im Text – die Formulierung “auf den oder die nationalsozialistische Idee” – offenbar wurde das Wort “Führer” vergessen
- Fehler im Text – eine Abbildung zeigt die ältere Tochter ein Foto haltend über ihrer Geburtsanzeige -zwei Monate nach ihrer Geburt
Andere Todesanzeigen aus der Zeit des Nationalsozialismus im Vergleich
OLt. Vogel schreibt in seinem Gutachten: “Am 24.11.1944 erschien auf Veranlassung der Angehörigen in der Deutschen Allgemeinen Zeitung eine Todesanzeige Lents, die nicht die übliche Floskel ‘gefallen für Führer, Volk und Vaterland‘, sondern ein klares Bekenntnis zum Christentum und Vaterland enthielt. ” Ein Blick auf andere Todesanzeigen aus der Zeit des Nationalsozialismus zeigt: die explizite Bezugnahme auf “Führer und die Nationalsozialistische Idee” war eher eine Ausnahme. Die meisten Anzeigen enthielten das eiserne Kreuz mit Hakenkreuz in der Mitte – so auch die Anzeige von Helmut Lent.